Gesucht: Argumente gegen ein Beschneidungsverbot

Da mich Volker Beck im Zuge der Beschneidungsdebatte gerade auf Twitter schäbigen Journalismus’ und der Falschdarstellung seiner Aussagen in meinem heutigen ND-Artikel geziehen hat, hier der komplette, unver­änderte Mailverkehr zwi­schen mir und ihm zu diesem Thema. Vielleicht beläßt es Herr Beck ja nicht nur bei einem etwas billigen Twitter-Hüftschuß, sondern zeigt doch noch ein bißchen Qualität, indem er seine von mir angeblich „weggelassenen“ Argumente hier aufzeigt bzw. klarer darlegt.

Kommentare sind mehr als willkommen!

Die erste Mail, die Antworten von Volker Beck stehen schon direkt unter der entsprechenden Frage und sind jeweils grau unterlegt und eingerückt:

Lieber Herr Beck,

vielen Dank für Ihre prompte Reaktion. Ich schreibe für das ND einen Artikel zum Thema Beschnei­dung, und ich würde mich freuen, wenn Sie mir ein paar kurze Fragen beantworten könnten.

1. In Ihrer Bundestagsrede verwenden Sie explizit eine Formulierung religiöser Vertreter, wenn Sie sagen, jüdisches und muslimisches Leben würde in Deutschland unmöglich, wenn Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Kinder strafbar wären. Wie z.B. jüdische Vertreter die Torah auslegen, ist allerdings zweifelsohne eine theologische Frage: Daß heutzutage die meisten Christen und Juden die altesta­mentarische Anordnung (die ganz genauso explizit ist wie die der Beschneidung) nicht wörtlich nehmen, einen homosexuellen Geschlechtsakt mit dem Tode zu bestrafen, ist sicher erfreulich, aber eben auch reine theologische Auslegungssache. Wie möchten Sie begründen, daß der zu religiöser Neutralität verpflichtete Staat nun eine bestimmte theologische Auslegung gegenüber einer anderen bevorzugen soll?

Ihre Frage bringt viele Dinge durcheinander. Zunächst: Nicht der Staat, die Politik oder das Recht interpretieren die Inhalte einer Religion. Das machen in einem freiheitlichen Gemein­wesen die Gläubigen und ihre Religionsgemeinschaften. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass z.B. der Zentralrat der Juden in Deutschland ebenso wie die Organisation der liberalen Juden, die Union progressiver Juden, erklären, die männliche Beschneidung sei ein wesent­licher Bestandteil ihres Bundes mit Gott. Und in der Tat ist der Beschneidungsbefehl an Abra­ham in Buch der Genesis der Gründungsakt der abrahamitischen Religionen.

Das ist ein Befund, den man bei der Bewertung der Religionsfreiheit in die Grundrechts­abwägung zwischen Kindeswohl, körperlicher Unversehrtheit des Kindes, Religionsfreiheit von Kind und Eltern und dem Erziehungsrecht einbeziehen muss. Die Frage, die beantwortet werden muss, ist, kann es dem Kindeswohl dienen, wenn der Junge beschnitten wird und damit den Vorschriften seiner Religion gemäß aufwächst. Wenn man dies bejaht, darf der Staat nicht durch ein strafrechtliches Verbot in die Kindeswohlentscheidung der Eltern eingreifen.

Etwas ganz anderes ist die Vorschrift aus den Heiligkeitscodices des Leviticus bezügllich der Homosexualität. Die Tötung eines anderen Menschen im Namen der Religion ist im Rechts­staat ein Verbrechen. Religion rechtfertigt keine Übergriffe in die Rechte anderer. Da der Iran und Saudi-Arabien dies nicht respektieren, haben sie auch eine verbrecherische, menschen­rechtswidrige Rechtsordnung.

Der weltanschaulich und religiös neutrale Staat schützt die Grundrechte aller seiner Rechts­ordnung unterworfenen Menschen, einschließlich ihres Rechtes auf Religionsfreiheit. Die Reli­gionsfreiheit hat 3 Dimensionen: die positive individuelle und kollektive Glaubensfreiheit und die negative Religionsfreiheit, die garantiert, das man unbeeinflußt von den religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen anderer, auch der Mehrheit, leben darf. Deshalb ist auch ein Verbot der Homosexualität menschenrechtswidrig, aber es ist zu akzeptieren, dass Religionen Homosexualität ablehnen. Religionsfreiheit ist immer auch ein wenig Narrenfreiheit in welt­anschaulichen Fragen, die aber nicht beanspruchen kann, in die Rechte anderer einzugreifen.

2. Möchten Sie mit Ihrer Aussage (der befürchteten Unmöglichkeit jüdischen und muslimischen Le­bens) ausdrücken, daß Juden und Muslime ein über Art. 4 Abs. 2 GG hinausgehendes Recht haben sollen (z.B. historisch oder moralisch begründet), das Beschneidungen dann ohne Strafe ermöglicht? Oder meinen Sie, daß die Beschneidung so oder so klar von diesem GG-Artikel gedeckt ist? Im letz­teren Fall: Haben Sie diesen Zusammenhang in Ihrer Rede absichtlich nicht erwähnt? Es würde sich sonst die Interpretation aufdrängen, daß es um ein Sonderrecht gehen soll – die Formulierung des Bundestagsbeschlusses („Eine Präjudizwirkung für andere körperliche Eingriffe aus religiösen Grün­den darf sich hieraus nicht ergeben.“) verstärkt diesen Eindruck ja durchaus.

Es geht nicht um Sonderrechte, sondern um eine Abwägung bei einer konkreten Kollission verschiedener Grundrechtspositionen. Im Zentrum steht dabei das Wohl der Kindes.

Bei der Grundrechtsabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Beschneidung von Jungen ein irreversibler, aber nicht gesundheitlich schädlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist, der auch aus anderen, etwa hygienischen oder präventiven, Gründen vorgenommen wird. Es ist zu berücksichtigen, dass das Beschneidungsgebot im Judentum als zentral angesehen und bei Muslimen auch weitgehend für unverzichtbar gehalten wird. Eltern fällen, auch im Rahmen der religiösen Erziehung, die Kindeswohlentscheidungen in der Grenzen unserer Rechtsord­nung.

Die medizinisch-fachgerecht durchgeführte Beschneidung von Jungen ist bei Muslimen und Juden m.E. grundsätzlich zulässig, wenn die Eltern rechtswirksam für das Kind eingewilligt haben. Wägt man die in Rede stehenden Grundrechtspositionen aus Artikel 2, 4 und 6 GG ab, kommt man zu diesem Ergebnis. Dies hat die Rechtssprechung in Deutschland bis zum Mai diesen Jahres auch einheitlich so gesehen. In einer Entscheidung hat das OVG Lüneburg bei­spielsweise entschieden, dass ein Anspruch gegen die Träger der Sozialhilfe auf Übernahme der Kosten der Zirkumzision und einer entsprechenden Familienfeier besteht. Für die Bege­hung einer Straftat gibt es keine Sozialhilfeleistung!

Die Grundrechtsabwägung bei der weiblichen Genitalverstümmelung muss zu einem völlg ge­genteiligen Ergebnis kommen: Die weibliche Genitalverstümmelung hat schwere gesundheit­liche Schäden und einen Verlust oder eine Einschränkung der sexuellen Empfindungs­fähigkeit zur Folge. Sie kann daher religiös nicht gerechtfertigt werden und sie ist auch gar nicht religiös, sondern nur kulturell begründet. Daher ist sie unter allen Gesichtspunkten zu verbieten. Dies hat der Bundestagsbeschluss auch unmissverständlich klargestellt.

3. Sind Sie der Ansicht, daß dem seine Religion ausübenden Menschen aus Art. 4 Abs. 2 GG irgend­welche Rechte gegenüber Dritten erwachsen, die dessen Freiheit einzuschränken geeignet sind? Wenn ja: Wie würden Sie das begründen? Wenn nein: Fällt damit die Religionsfreiheit (die sich dann nur auf die eigene Person beziehen würde) als Teil der rechtlichen Abwägung komplett weg, und bleibt dann nur noch das Recht der Eltern auf Erziehung als mögliche Begründung für Beschneidungen?

Die Religionsfreiheit rechtfertigt keine Eingriffe in die Rechte Dritter. Dies ist auch bei der Be­schneidung nicht der Fall.

Die Eltern treffen grundsätzlich die Kindeswohlsentscheidung und sind in der Regel die gesetz­lichen Vertreter des Kindes. Dies ergibt sich aus ihrer Pflicht und ihrem Recht zu Pflege und Erziehung der Kinder. Das Recht setzt ihnen dabei Grenzen, beispielsweise durch das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung.

4. Denken Sie, daß das Erziehungsrecht der Eltern das Recht umfassen sollte, medizinisch nicht indi­zierte Eingriffe an einwilligungsunfähigen Kindern vornehmen zu lassen? Warum bzw. warum nicht?

Dies ist auch heute schon der Fall. Eltern entscheiden beispielsweise, bei nicht zwingend er­forderlich, nicht vorgeschriebenen Impfungen, ob sie das Impfrisiko oder den Impfschutz höher bewerten und wogegen sie ihre Kinder impfen lassen. Bei abstehenden Ohren empfehlen Kin­derärzte im vorschulischen Alter eine Korrektur, auch hier entscheiden die Eltern, ob dieser kosmetische Eingriff vorgenommen werden soll.

5. In Ihrem ZEIT-Interview sagen Sie, „die Weltanschauung des Atheismus kann fundamentalistische Züge annehmen“. Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Ich habe in vielen erhaltenen Mails ein tiefes Unverständnis von und eine Verachtung für Reli­gion generell gelesen.

Im Netz ist mir in den letzten Tagen begegnet, man solle Eltern das Recht auf religiöse Er­ziehung völlig absprechen. Sie sollten sie weder “indoktrinieren” noch beispielsweise taufen lassen dürfen. Alles andere wäre ein Eingriff in ihre negative Religionsfreiheit. Dies setzt die eigene areligiöse Sicht auf die Welt absolut und verkennt völlig das auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegte Recht der Eltern auf religiöse Erziehung.

Religionsfreiheit ist eben nicht Freiheit von Religion, sondern Freiheit in religiösen Angele­genheiten. Jeder darf nach seiner Facon seelig werden.

Kermani hat in dieser Debatte gesagt: “Aufklärung, wie sie gerade auch die deutsche Philo­sophie gelehrt hat, würde heißen, die eigene Weltanschauung zu relativieren und also im eigenen Handeln und Reden immer in Rechnung zu stellen, dass andere die Welt ganz anders sehen … Aufklärung ist nicht nur die Herrschaft der Vernunft, sondern zugleich das Einsehen in deren Begrenztheit.” Das kann ich nur unterstreichen!

Vielen Dank im voraus für Ihre Mühe!

Mit freundlichen Grüßen
Peter Monnerjahn

Die zweite Mail, Antworten von Volker Beck wieder grau unterlegt und eingerückt:

Lieber Herr Beck,

vielen Dank für Ihre Email. Ich hoffe, ich kann ein paar kurze Nachfragen noch anbringen, da Ihre Ant­worten leider viele Dinge durcheinanderbringen. 😉

1. Sie sagen, eine Beschneidung sei ein „Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“, die nach Art. 2 Abs. 2 GG ein geschütztes Grundrecht ist. Weiterhin sagen Sie, „Religion rechtfertigt keine Übergriffe in die Rechte anderer“. Somit schiede eine rein religiöse Rechtfertigung für die Beschneidung einwilli­gungsunfähiger Dritter aus. Streiten Sie den ziemlich offensichtlich scheinenden Widerspruch ab, oder würden Sie dann das Recht zur Beschneidung allein aus Art. 6 Abs. 2 GG ableiten wollen?

Nein, ich habe in meiner Antwort, in meiner Rede wie die Begründung des Bundestages­beschlusses versucht die Grundrechtskollission im Wege der praktischen Konkordanz durch eine Abwägung zu lösen. Dabei geht es darum, dass alle Grundrechtspositionen zu optimaler Ent­faltung gebracht werden.

http://de.wikipedia.org/wiki/Praktische_Konkordanz

2. Sie sagen, „nicht der Staat, die Politik oder das Recht interpretieren die Inhalte einer Religion“. Zwei Sätze später machen Sie sich aber eine bestimmte religiöse Interpretation zueigen, indem Sie den „Beschneidungsbefehl an Abraham“ – und das ist das, was ich anmerkte, als ich fragte, wie Sie be­gründen möchten, eine bestimmte religiöse Interpretation zur Grundlage eines Gesetzes zu machen. Es mag vielleicht nicht Ihre persönliche Interpretation sein, aber Sie sprechen dieser Interpretation eine Verbindlichkeit zu, die über die Anhänger der Religion hinausgeht. Wie möchten Sie begründen, daß der Staat diese oder jene Interpretation davon anzuerkennen habe, was ein Gläubiger angeblich glauben oder tun *muß*, um ein guter Gläubiger zu sein? (Daß es Religionsvertretern freisteht, das für die Angehörigen ihrer Religion festzulegen, ist offensichtlich durch die Religionsfreiheit abgedeckt – daraus erwächst aber keinem Dritten die Pflicht, diese Interpretation anzuerkennen.)

Ich verstehe noch nicht einmal Ihre Frage. Ich habe die Interpretation von 2 jüdischen Organisa­tionen, die wohl die übergroße Zahl der Juden in Deutschland repräsentieren, als Befund zur Kenntnis genommen.

Es steht selbstverständlich Gläubigen und Glaubensgemeinschaften frei, von dieser Interpreta­tion abzuweichen. In relevanter Zahl ist dies bisher meines Wissens in Deutschland nicht ge­schehen.

3. Sie sagen, die Beschneidung von Jungen sei ein „nicht gesundheitlich schädlicher Eingriff“. Nun bestreitet aber niemand, daß der Eingriff Schmerzen verursacht (also eine Beeinträchtigung der kör­perlichen Integrität nach Art. 2 Abs. 2 GG darstellt) und daß die Vorhaut eine physiologische und neuro­logische Funktion hat. Insbesondere hat die Beschneidung „eine Einschränkung der sexuellen Empfin­dungsfähigkeit zur Folge“, was ja auch oft genug als Begründung für sie angegeben wurde. Im Fall der Beschneidung von Frauen haben Sie für den letzten Punkt gesagt, schon allein aus dieser Erwägung heraus wäre sie zu verbieten. Damit scheint es sich um einen lupenreinen Fall geschlechtsspezifischer Diskriminierung zu handeln – wie würden Sie die abstreiten oder begründen?

Nein. Eingriffstiefe und Begründung sind bei Beschneidung von Jungen und weiblicher Genital­verstümmelung nicht vergleichbar.

Besten Dank noch einmal für Ihre Mühe!

Mit freundlichen Grüßen
Peter Monnerjahn

Dies sind jeweils die kompletten Emails, Gruß- und Abschiedsformeln gab es in Becks Antworten nicht.

Fassen wir kurz zusammen: Volker Beck sagt, „dass die Beschneidung von Jungen ein […] Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“ ist sowie daß ein „Eingriff in die Rechte Dritter […] bei der Be­schneidung nicht der Fall“ ist. Der einzige Ausweg aus diesem offenbaren Widerspruch wäre es, das zu beschneidende Kind nicht als „Dritten“ anzusehen, sondern sozusagen nur als rechtliches Anhängsel der Eltern. Das wäre immerhin kon­sequent, denn das Recht zur Beschneidung leitet Beck (wie viele andere) ja auch aus dem Religionsfrei­heitsrecht der Eltern ab.

Beck versucht an dieser Stelle das Argument anzubringen, Eltern dürften ja auch impfen und Ohren anlegen lassen – nur hat das mit der Beschneidungsfrage exakt nichts zu tun, da die Begründung in diesen Fällen gerade keine religöse, sondern eine rational vertretbare ist (nämlich im ersten Fall medizinisch indiziert, im zweiten psychologisch indiziert, so wie die Entfernung eines nicht gesundheitsbedrohenden Muttermals im Gesicht). Es ist eben exakt der Punkt, daß Muslime und Juden, die auf die Beschneidung nicht verzichten wollen, gerade keine Argumente vorbringen wollen, die einer rationalen Überprüfung zugänglich wären. Und Volker Beck stellt sich da explizit hinter sie, wenn er von der „Begrenztheit der Vernunft“ schwadroniert. Es sollte nur jedem klar sein, daß es hier um die Rechte von Kindern geht, die man durch ein solches Manöver eben gerade nicht abwägt, sondern schlicht ignoriert, um dieser oder jener Gruppe erlauben zu können, ihre Irrationalität Dritten aufdeubeln zu können.

Der zweite Punkt, den ich im ND-Artikel angesprochen habe, ist die Doppelmoral in bezug auf Beschnei­dungen von Mädchen bzw. Frauen. Und auch hier gibt es kein einziges Argument von Volker Beck. Was Beck vor­bringt, ist die absurde Behauptung, nur bei der weiblichen Beschneidung sei ein Verlust des Empfindungs­vermögens im Spiel. Und auf den Widerspruch angesprochen, bleibt nur die sture Behauptung, daß er trotzdem Recht hat: Die beiden Eingriffe seien schlicht „nicht vergleichbar“. Keine Begründung, nur eine Behauptung.

Und all das geschieht unter dem Deckmantel einer Grundrechtsabwägung, die angeblich „alle Grundrechts­positionen zu optimaler Entfaltung“ bringen soll. Komisch nur, daß vom Grundrecht des Kindes auf körper­liche Unversehrtheit bei dieser kuriosen „Abwägung“ tatsächlich nichts übrigbleibt.

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  1. Volker Beck meint, eine herablassende Antwort, die mir mangelnde Lesefähigkeit unterstellt, sei eine gute Idee:

    @PeterMonnerjahn Nur ein Beispiel

    Vielleicht haben Sie auch bei der Texterfassung im Übereifer Probleme gehabt:

    aus “Die Grundrechtsabwägung bei der weiblichen Genitalverstümmelung muss zu einem völlg ge­genteiligen Ergebnis kommen: Die weibliche Genitalverstümmelung hat schwere gesundheit­liche Schäden (!!!!) und einen Verlust oder eine Einschränkung der sexuellen Empfindungs­fähigkeit zur Folge. Sie kann daher religiös nicht gerechtfertigt werden und sie ist auch gar nicht religiös(!!!), sondern nur kulturell begründet. Daher ist sie unter allen Gesichtspunkten zu verbieten. Dies hat der Bundestagsbeschluss auch unmissverständlich klargestellt.”
    machen Sie “Die beiden Fälle seien schlicht »nicht vergleichbar«. Ipse dixit.”

    Es ist schon ein bißchen peinlich, jemandem Probleme bei der Texterfassung anzudichten, wenn man sel­ber offenbar nicht versteht, was man sagt. Laut Beck ist die weibliche Beschneidung „unter allen Gesichts­punkten zu verbieten“, und ich weise darauf hin, daß zumindest einer dieser Gesichtspunkte auch auf die männliche Beschneidung zutrifft – sie nach Becks Logik also auch zu verbieten wäre. Die Reaktion darauf „Aber Sie haben alle anderen Gesichtpunkte nicht erwähnt“ ist bemerkenswert sinnlos, da sie meinen (argu­mentativ bereits hinreichenden) Einwand schlicht ignoriert.

    Wer läßt in dieser Sache also wessen Argumente weg, lieber Volker Beck?

  2. Und anscheinend war Volker Becks Tube Arroganz auch noch nicht ganz leer:

    @PeterMonnerjahn Und ein zweites Beispiel:

    Aus: “Die Religionsfreiheit rechtfertigt keine Eingriffe in die Rechte Dritter. Dies ist auch bei der Be­schneidung nicht der Fall.

    Die Eltern treffen grundsätzlich die Kindeswohlsentscheidung und sind in der Regel die gesetz­lichen Vertreter des Kindes. Dies ergibt sich aus ihrer Pflicht und ihrem Recht zu Pflege und Erziehung der Kinder. Das Recht setzt ihnen dabei Grenzen, beispielsweise durch das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung.”

    machen Sie das:
    “Nun ist eine Beschneidung allerdings offensichtlich ein Eingriff, und auch ein kleines Kind hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, die durch den Eingriff ebenfalls offen­sichtlich geschädigt wird. Wie kann man diesen Widerspruch auflösen? Indem man, wie Beck, einfach behauptet, ein Eingriff in die Rechte Dritter sei »bei der Beschneidung nicht der Fall«.”

    Ich befürchte Sie haben einfach nicht verstanden, was im BGB eine Kindeswohl­entschei­dung ist und deshalb den zweiten Absatz in seiner Bedeutung nicht erfasst. Er begründet, warum dies in dem Fall keine Entscheidung bzgl. Eingriffe in dir REchte Dritter, da Eltern stellvertretend für das Kind handeln.

    Armer Volker Beck, der sich mit so offenbar minderbemittelten Menschen herumschlagen muß – man be­kommt regelrecht Mitleid.

    Wie ich oben im Artikel schon ausgeführt habe, ist die von Beck konstruierte Analogie zu einem medizinisch indizierten Eingriff komplett irrelevant. Natürlich haben die Eltern das Recht, solche Eingriffe im Sinne des Kindeswohls und in Ausübung ihrer Fürsorgepflicht vornehmen zu lassen. Nur hat eine Beschneidung mit einem medizinisch indizierten Eingriff aber gerade nichts zu tun. (Worauf man auch recht schnell selbst kommen kann, da es in der gesamten Debatte ausdrücklich allein um religiös begründete Beschneidungen geht.)

    Ferner üben die Eltern ihr Recht zu Pflege und Erziehung der Kinder selbstredend so aus, daß ihre Ent­scheidungen einer rationalen Überprüfung zugänglich sind – ihr Recht ist kein Freibrief zur Umsetzung aller möglichen spinnerter Ideen, von denen man vernünftigerweise eben nicht annehmen kann, daß sie im Sinne des Kindes sind.

    • sol1 on 6. October 2012 at 23:28
    • Reply

    “Die weibliche Genitalverstümmelung hat schwere gesundheit­liche Schäden und einen Verlust oder eine Einschränkung der sexuellen Empfindungs­fähigkeit zur Folge. Sie kann daher religiös nicht gerechtfertigt werden und sie ist auch gar nicht religiös, sondern nur kulturell begründet.”

    Entweder ist Volker Beck hier schlecht informiert, oder er lügt.

    Auch wenn alle sunnitischen Rechtsschulen sowie die Schiiten die Beschneidung von Jungen befürworten, schreibt außer der schafiitischen Rechtsschule keine andere sie als zwingend notwendig vor. Bei der schafiitischen Lehre gibt es allerdings auch keine Trennung zwischen der Beschneidung von Jungen und Mädchen.

    (…)

    Nun wird die Entfernung von Klitorisvorhaut oder Klitoris (zwei Formen sogenannter „leichter“ Verstümmelung, die ebenfalls von der WHO als FGM identifiziert worden sind) in vielen islamisch geprägten Ländern keineswegs als ein „sittenwidriger Eingriff“ angesehen, sondern als religiös und traditionell ebenso bedeutendes Ritual wie die männliche Beschneidung.4 Wie bereits erwähnt, unterscheiden die Schafiiten, eine der vier sunnitischen Rechtsschulen, dabei in ihren Rechtsgutachten nicht zwischen den Geschlechtern. So stellt ein schafiitisches Rechtsinstitut unmissverständlich fest: „Circumcision is obligatory upon men and women according to us.“ (Die Beschneidung bei Männern und Frauen ist unserer Auffassung nach verbindlich vorgeschrieben.)5 Entsprechend hoch ist in allen islamischen Ländern und Regionen, in denen diese Rechtsschule dominiert,6 das Vorkommen von FGM, ob etwa in Ägypten, Indonesien, am Horn von Afrika oder in den kurdischen Gebieten des Irak und Iran. Bewusst möchten schafiitische Rechtsgelehrte die von ihnen propagierte Praxis von anderen Formen weiblicher Genitalbeschneidung unterschieden wissen: „We would like to point out that this ‚circumcision’ is not what is commonly known as female genital mutilation.“ (Wir möchten darauf hinweisen, dass diese „Zirkumzision“ nicht das ist, was gemeinhin als weibliche Genitalverstümmelung bekannt ist.)7

    (…)

    Mittlerweile gibt es auch eine ganze Reihe von Rechtsgutachten bedeutender Kleriker bzw. Rechtsgelehrter, die eindeutig gegen FGM Stellung bezogen haben und die Praxis sogar als unislamisch verurteilen. Auch innerhalb der schafiitischen Rechtsschule spricht sich eine kleine, aber umso aktivere Gruppe gegen die weibliche Genitalverstümmelung aus.11 Diese Diskussionen werden vermutlich noch lange Zeit brauchen, und eine verbindliche Lehrmeinung gibt es nicht. Und immer wieder sprechen sich Kleriker dezidiert für die Praxis der Genitalverstümmelung aus.

    http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2762.php

      • PeterM on 7. October 2012 at 11:40
        Author

      Danke für diese Ergänzung. Wobei ich noch nicht einmal weiß, wofür die Unterscheidung zwischen „religiöser“ und „kultureller“ Begründung überhaupt relevant sein soll.

      Zusätzlich ist es in der Tat peinlich, daß Beck nicht zu wissen scheint (oder absichtlich ver­schweigt), daß es bei der weiblichen Beschneidung ein sehr breites Spektrum gibt. Das dann pauschal unter dem sprachmanipulativen Begriff „Verstümmelung“ zu fassen, während man sonst nur von „Beschneidung“ spricht, pfropft der Diskussion bereits eine parteiische Wertung auf und ist unredlich.

    • sol1 on 7. October 2012 at 00:18
    • Reply

    Eingriffstiefe und Begründung sind bei Beschneidung von Jungen und weiblicher Genital­verstümmelung nicht vergleichbar.

    Das sieht Aya­an Hir­si Ali (selbst Betroffene einer Genital­verstümmelung) anders.

    In diesem Dokumentarfilm stellt sie fest, daß die männliche Beschneidung eine Form der Genital­verstüm­melung ist, die gravierender ist als einige Formen der weiblichen Genitalverstümmelung:

    http://www.youtube.com/watch?v=U5kaEEckXmU

    (ab min 27:55)

      • Emanon on 7. October 2012 at 17:15

      Zumal er dem Wort “vergleichen” wie so viele nicht gerecht wird. Selbstverständlich kann man Äpfel und Birnen vergleichen. Nur kommt man dann zu dem Ergebnis, dass sie unterschiedlich sind. Soviel zum Wortsinn.

      Wenn man, wie in der juristischen Diskussion notwendig, nun Klitoris und Penisvorhaut abstrahiert vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich bei beiden um Nervendurchzogene Teile des Sexualorgans handelt, die jeweils unterschiedlich ausgestaltet sein können. So wie es Männer gibt, deren Vorhaut zu lang ist und hier teil-beschnitten wird (es gibt auch bei der Beschneidung unterschiedliche Stufen), gibt es auch bei Frauen leichte Korrekturen, wo etwas abgeschnitten wird. In Australien wird das grad sogar zum Trend, die inneren Schamlippen derartig zu reduzieren, dass man sie nicht länger als die äußeren sind. Dabei wird allerdings nichts am Kitzler gemacht und das sexuelle Empfinden ist fast nicht beeinträchtigt.
      Hier haben wir abstrahiert die gleiche Art von Beschneidung, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Es handelt sich also um Korrekturen, die aber genug Nervenenden lassen, um die Empfindung nicht zu stören.

      Die religiöse Beschneidung verfolgt aber einen anderen Zweck. Sie soll das Empfinden beabsichtigt beeinträchtigen. Das ist sowohl bei der Beschneidung der Mädchen, als auch der Jungen gewollt. Aus diesem Grunde lassen die christlichen Fundamentalisten in den USA auch ihre Jungen beschneiden. Das hängt u.a. damit zusammen, dass Masturbation als Sünde empfunden wird. Deshalb dürfen Juden und Muslime auch nicht masturbieren – und viele Fundamentalisten in den USA sehen das genauso.
      Hier wird also ein funktionsfähiger Teil des Sexualorgans abgeschnitten, um die sexuelle Empfindsamkeit zu beeinträchtigen.
      Dass Volker Beck hier bei Frauen und Männern unterscheidet liegt einzig an der Ausführung, von der er ein subjektives Bild hat. Während er glaubt, dass Jungenbeschneidung professionell durchgeführt wird, kommen ihm bei Mädchenbeschneidungen offensichtlich die Bilder mit den stumpfen Glasscherben in Somalia in den Kopf. Aber was glaubt er, wie die Jungen dort beschnitten werden? Wie viele daran sterben? Das passiert dort auf die gleiche Weise.

      Man könnte Mädchen auch hierzulande die Klitoris inklusive Kitzler professionell chirurgisch entfernen. Das würde abstrahiert den gleichen Eingriff in die körperliche Integrität bedeuten wie bei Jungen. Es sind die gleichen Schmerzen, die gleiche Einschränkung. Es gibt auch Menschen, die beschnitten wurden und das als die gleiche Verstümmelung betrachten wie beschnittene Frauen. Und es gibt Menschen, die beschnittene Frauen als ästhetisch betrachten. Die argumentation von Volker Beck ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber zu subjektiv und vor allem nicht juristisch. Und diesen Anspruch erhebt er ja.

      Abstrahiert ist beides ein Eingriff in den Kernbereich der körperlichen Integrität, der nicht mit dem Außenbereich der elterlichen Religionsfreiheit und der stellvertretenden Religionsfreiheit zu rechtfertigen ist und ein Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Kinder, die irreversibel religiös gezeichnet sind.

      Der einzige signifikante Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Beschneidung ist, dass die Gesellschaft es bei weiblicher schon begriffen hat, dass man einen Menschen sexuell nicht bevormunden kann.

      (Zu meinem Lösungsvorschlag allerdings meinen unteren Kommentar lesen
      http://www.bildungsbasar.de/2012/10/gesucht-argumente-gegen-ein-beschneidungsverbot/#comment-65)

    • Emanon on 7. October 2012 at 03:46
    • Reply

    Was Volker Beck dort beschreibt ist aus juristischer Sicht fast richtig. Allerdings mit leichten Schönheits­fehlern. Selbstverständlich ist es ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes, nur kann es sein, dass dieser gerechtfertigt ist. Das löst man dann im Wege der Praktischen Konkordanz. Es gibt prinzipiell keine Grundrechtshierarchie. Man wiegt also beide Grundrechte ab. Hier gehen die Meinungen ausein­ander. Einige sagen, dass das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit überwiegt, andere sagen, dass die Religionsfreiheit der Eltern überwiegt.

    Das Problem bei Letzerem ist Folgendes: Während beim Recht des Kindes der sog. Kern betroffen ist, ist die Religionsfreiheit der Eltern ist nicht im sog. Kern betroffen, da sie selbst nicht an ihrer persönlichen Religionsausübung gehindert werden. Sie können sich weiterhin beschneiden lassen und genau so leben, wie sie das nach ihrem religiösen Selbstverständnis möchten. Ihr Bund mit Gott wird also nicht verhindert. Was hier betroffen ist, ist ein äußerer Kreis, der sich auf das Ausüben der Religion in Bezug auf jemand anderen (das Kind) bezieht. Von daher würde ich sagen, dass hier das Recht des Kindes überwiegt.

    Nun gibt es aber noch eine andere Abwägung: Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und die Religionsfreiheit des Kindes, die von den Eltern stellvertretend bis zum Alter von 14 Jahren (Religionsmündigkeit) wahrgenommen wird. Hier ist dann der Kern der Religionsfreiheit betroffen, weil das Kind an einer persönlichen religiösen Handlung gehindert wird (Voraussetzung für Argumentation mit religiösen Schriften ist hierbei, dass sie ernsthaft und überzeugend sind. Das Spagetti-Monster fällt also nicht darunter). Es wird also der Kern der körperlichen Unversehrtheit mit dem Kern der Religionsfreiheit des Kindes abgewogen. Hier könnte man uU. argumentieren, dass das Kind ein Recht darauf hat beschnitten zu werden.

    Allerdings gibt es auch die negative Religionsfreiheit, die Herr Beck angesprochen hat, aber nicht weiter beachtet hat. Das Kind hat auch ein Recht darauf sich mit 14 Jahren zu keiner Religion zu bekennen und den nichtreligiösen Zustand herzustellen. Das ist aber nach Auffassung Einiger und auch mir nicht mehr möglich, wenn man religiös Beschnitten wurde, während eine religiöse Beschneidung auch mit 14. Jahren noch möglich ist. Es ist nämlich nicht so, dass man kein Jude ist, wenn man nicht beschnitten ist. Nach der Halacha ist man Jude, wenn man eine jüdische Mutter hat. Punkt. Dass die Beschneidung für Juden eine Wichtige Angelegenheit ist, kann ich durchaus nachvollziehen, aber nach jetziger Gesetzeslage, kommt man wohl zu dem Ergebnis, dass das Kind mit 14 zu entscheiden hat.

    Allerdings: Wird man beschnitten, kann durchaus argumentiert werden, dass es sich um eine Körper­verletzung nach §223 StGB handelt und nicht nach §224 StGB. Dazu muss die Beschneidung fachgemäß durchgeführt werden. Dann gilt das Skalpell nicht als gefährliches Werkzeug nach §224 StGB. Weil das Werkzeug in diesem Fall die Schäden nicht vergrößert, sondern verringert. In diesem Fall handelt es sich um ein Antragsdelikt, dass erst verfolgt wird, wenn der Geschädigte oder die Erziehungs­berechtigten innerhalb von 5 Jahren Anklage erheben.

    Das bedeutet, dass die Beschneidung in dem Fall gegen das Recht des Kindes auf körperliche Unver­sehrtheit verstößt und gegen seine negative Religionsfreiheit, aber es zu keiner Anklage kommt, wenn diese nicht von den betroffenen beantragt wird. Das ist zwar nicht sonderlich zufriedenstellend, wäre aber das richtige Ergebnis.

    Das ist zumindest juristisch so. Politisch oder moralisch entsteht natürlich die Frage, wie man mit den Religionen umgeht. Das ist allerdings ein schweres Pflaster. Und hier hat die Politik versagt, die einige Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte hatte, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.
    Historisch kann man allerdings sehen, dass sich die Religionsgemeinschaften schon immer auf neue Gesetzeslagen einstellen konnte und ihre Religion angepasst haben. Das sieht man beim Exorzismus, Tieropfern, usw.

    Persönlich bin ich hin und her gerissen, weil die meisten Beschnittenen, die ich kenne sehr froh darüber sind und es gut finden, dass es im Kindesalter passiert ist. Allerdings muss man hier auch sagen, dass diese damit ja aufgewachsen sind und nicht vorher These und Antithese abgewogen haben, um zu der Synthese zu kommen. Vielmehr haben sie das Ergebnis schon gehabt und im Laufe des Lebens Pro-Argumente dafür gesammelt.

    Es klingt vielleicht provokant, aber wahrscheinlich ist es der beste Weg, das so zu lassen, ein Antragsdelikt darin zu sehen, welches dann kaum verfolgt wird und dann gesellschaftlich aufzuklären. Ein striktes Verbot, welches mit Denunzierungen arbeitet und einige Hunderttausend Fälle betreffen wird, würde wohl eher zu einer gesellschaftlichen Spaltung und Ausweichhandlungen in Hinterhöfen führen. Das kann niemand wollen.

    mfg

      • PeterM on 8. October 2012 at 00:53
        Author

      Selbstverständlich ist es ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes, nur kann es sein, dass dieser gerechtfertigt ist. Das löst man dann im Wege der Praktischen Konkordanz.

      Ja, sicher. Nur sagte ich ja schon, daß keine Abwägung in diesem Sinne stattgefunden haben kann, wenn am Ende eine komplette Dominanz dabei herauskommt. Und das ist mehr als ein Schönheitsfehler.

      Und ich sagte ebenfalls schon, daß eine Rechtfertigung ausschließlich nach den Maßstäben der Vernunft zustandekommen kann, da die Eltern nicht einfach nur im Namen des Kindes handeln können, sondern in dessen Sinne, der nur nach allgemeinen Vernunftkriterien ver­mutet werden kann. Daraus folgt, daß Eltern – denen dieses Recht nur zeitweilig und stellver­tretend zusteht – keine Entscheidungen treffen dürfen, die irreversibel sind. Das Kind soll nämlich ab 14 Jahren selbst entscheiden können, ob es überhaupt irgendetwas Religiöses akzeptiert. Würde man eine Präjudizierung dieser Frage durch Vornehmen eines irreversiblen Eingriffs zulassen, wäre damit die Stellvertretung „im Sinne des Kindes“ ad absurdum geführt.

      Auch das ist, denke ich, offensichtlich mehr als ein Schönheitsfehler – es verkennt nämlich den grundlegendsten Sinn dieser Stellvertreterregelung, die Eltern eben nicht das Recht gibt, dem Kind ihre eigenen Vorstellungen aufzudeubeln, sondern eine Argumentation erfordert, warum etwas im Sinne des Kindes ist. Und wenn diese Begründung rationalen Anforderungen nicht genügt, müssen die Vorstellungen der Eltern zurückstehen.

      • Emanon on 8. October 2012 at 02:10

      Man darf nicht den Fehler machen und juristische Diskussionen mit moralischen vermischen.

      Die Wörter “Abwägung”, “Rechtfertigung” und “Stellvertretung” sind in diesem Fall juristische termini technici und ihre Definition ist ein schwieriges und riesiges Gebilde aus Gesetzen, juristischen Kommentaren und Gerichtsentscheidungen.

      Da können Sie Volker Beck nicht entgegentreten, wenn Sie diese Worte mit gesundem Menschenverstand definieren. Ich hatte eigentlich vor, die Wörter genau zu erklären, aber das dauert wirklich zu lange.

      Deshalb habe ich Ihnen aber auch geschrieben, weil die Diskussion mit Volker Beck, der sich auf juristischer Ebene bewegt, sonst nicht funktionierte. Sie sprächen zwei verschiedene Sprachen.

      Sie sollten sich also nicht auf Diskussionen um Wörter und Befugnisse einlassen.

      Im Endeffekt gilt, was ich in meinem ersten Text geschrieben habe. Ich will das nochmal kurz zusammenfassen

      1. Bei der Abwägung von der körperlichen Integrität des Kindes mit der eigenen Religionsfreiheit der Eltern, ist beim Kind der innere Kern des Rechts betroffen, während bei den Eltern nur ein äußerer Kreis betroffen ist (genaueres im ersten Beitrag). Das heißt das Recht des Kindes überwiegt.

      2. Die stellvertretend wahrgenommene Religionsfreiheit des Kindes durch die Eltern gibt ihnen das Recht im Namen des Kindes religiös zu entscheiden, und das nach ihren eigenen Vorstellungen, diese dürfen aber nicht soweit gehen, dass sie die negative Religionsfreiheit des Kindes unmöglich machen (genaueres im ersten Beitrag). Das heißt die negative Religionsfreiheit des Kindes überwiegt.

      Soviel zum Verfassungsrecht.

      Was das bedeutet, steht in den letzten fünf Absätzen meines ersten Beitrages.

      Das ist die juristische Diskussion.

      Moralisch ist sie eine andere, aber die muss auch gesellschaftlich diskutiert werden und nicht juristisch. Man wird Beschneidungen schlicht nicht über Gesetze regulieren können. Mittelalterliche Verbotsethik hat noch niemals irgendetwas gebracht. (aber auch hier siehe erster Beitrag).

      • PeterM on 9. October 2012 at 16:47
        Author

      Ein paar Anmerkungen:

      Die Religionsfreiheit der Eltern ist hier irrelevant, da ihnen kein Recht zur Vornahme von Hand­lungen an Dritten daraus erwachsen kann, insbesondere wenn es sich um eine Körperver­letzung handelt. Zur Sicherheit zitiere ich dazu noch schnell Putzke („Recht und Ritual – ein großes Urteil einer kleinen Strafkammer“, Medizinrecht 2012, im Druck):

      Aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigt die Ausübung eines Freiheits­rechts niemals, die körperliche Integrität eines anderen zu verletzen, es sei denn aus Gründen der Notwehr oder eines Notstandes.

      Was die stellvertretende Wahrnehmung von Rechten durch die Eltern angeht, sind deren eigene Vorstellungen gerade nicht maßgebend, sondern allein das Wohl des Kindes und eine mutmaßliche Zustimmung in Entscheidungen durch das Kind. Und da kann, wie Sie ja auch schon sagten, das Unmöglichmachen einer späteren Durchsetzung der negativen Religions­freiheit des Kindes keinesfalls durch die stellvertretende Ausübung der positiven Religions­freiheit des Kindes durch die Eltern gerechtfertigt sein.

      Und was die Abwägung angeht, noch mal Putzke:

      Es gibt einen weiteren Grund [das „Ausgrenzungskriterium“ zurückzu­weisen]: Gewährt ein Staat schrankenlos den Religionsgemeinschaften die Deutungshoheit darüber, was identitätsstiftend ist, wird aus der Herrschaft eine Beherrschung des Rechtes, was nichts anderes als eine Kapitulation des Rechtsstaates wäre. Deshalb darf das Kriterium der religiösen Integra­tion weder das einzige noch das ausschlaggebende sein.

      In einem solchen Fall bestünde die Gefahr, wie ich schon in Hinblick auf die von Beck angeb­lich vorgenommene „Abwägung“ sagte, daß eines der Rechte komplett untergeht: das auf körperliche Unversehrtheit. Anders gesagt: Der Praktischen Konkordanz wird nicht dadurch Ausdruck verliehen, daß ich eine Situation konstruieren kann, in der eines der relevanten Grundrechte komplett mißachtet werden kann. Wenn ich der Religion eine solche Autorität zuspreche, kommt eben gerade eine Beherrschung des Rechts dabei heraus, die der PK entgegensteht.

    • Rerun on 7. October 2012 at 12:16
    • Reply

    @Emanon: Warum fällt das Spagetti-Monster nicht darunter? Wer entscheidet über darüber was ernsthaft und überzeugend ist? Woran wollen Sie festmachen, dass etwas ernsthaft ist? Muss man bereit sein sein Leben dafür zu geben, oder wie? Für mich sind Religion und religiöse Schriften per se nicht überzeugend, da nimmt sich das Spagetti-Monster im Vergleich zu einem Gott, der die Vorhaut eines Kindes haben will, rein gar nichts.

      • PeterM on 8. October 2012 at 00:10
        Author

      Und wenn FSM nicht darunterfällt, fällt auch das Mormonentum nicht darunter?

      Aber wahrscheinlich ist das Kriterium einfach: Wer nicht so verblendet ist, daß er seinen Stuß wirklich glaubt, oder so gut heucheln kann, daß sich die Balken biegen, den können wir leider nicht ernstnehmen.

      • Emanon on 8. October 2012 at 00:21

      Verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist nicht meine persönliche Meinung gewesen. Meine ganz persönliche Meinung über Religionen ist wahrscheinlich weit extremer als die Ihre.

      Was ich dort geschrieben habe, ist meine juristische Meinung über den juristischen Schutzbereich des terminus technicus “Religion” aus dem Grundgetz in Artikel 4 GG.

      Für die Diskussion, wann etwas unter Religionsfreiheit fällt und nicht sind verschiedene Parameter zu betrachten, die ganz eigene Meinung über Sinn und Unsinn von Religionen gehört nicht dazu.

      Aber in der Tat ist das sehr schwer zu beurteilen, wann etwas unter Religion bzw. Weltanschauung fällt und wann nicht. Grundsätzlich ist der Begriff weit zu verstehen und es kommt auch nicht darauf an, um wie viele Jünger es sich handelt oder wie bedeutend die Gemeinschaft ist. Es kommt darauf an, dass eine Erklärung für die Zusammenhänge der Welt geboten wird, für den Sinn des Lebens und der Menschheit. Außerdem müssen sich verschieden Pflichten für den Gläubigen ergeben, die ihn nicht ohne Gewissenskonflikt lassen, wenn er sie nicht befolgt. Es muss also erkennbar sein, dass er seine Religion ernsthaft ausführen will.
      Dann gibt es noch Ausschlussgründe: Bei Scientology gehen z.B. einige Gerichte davon aus, dass hier nur wirtschaftliche Betätigung gedeckt werden soll. Ein Ausschlussgrund ist auch, wenn es sich erkennbar um eine Parodie handelt.

      Das Spaghettimonster ist eine weltweite Religionsparodie von Bobby Henderson. Dass es eine Parodie ist, macht es schwer, es als Religion anerkennen zu lassen.

      ABER: Wenn Sie es gut begründen, sich abspalten und überzeugend die Parodie in Ernsthaftigkeit umdrehen können, können Sie vielleicht auch Erfolg haben. Soweit ich weiß, hat jemand in Österreich durchgesetzt, dass er bei seinem Passfoto ein Sieb tragen durfte, weil er das mit dem Spaghettimonster gut begründet hat.

      Entscheiden tun also letzten Endes die unabhängigen Richter. in diesem Kontext darf es auch nicht darauf ankommen, was wir über die Religionen von anderen denken. Unser Grundgesetz und unsere Gesellschaft schützen religiöse Minderheiten genauso wie sie die Freiheit schützen keiner Religion anzugehören. Und das muss ausgeglichen werden mit anderen Grundrechten.

    • Emanon on 8. October 2012 at 01:01
    • Reply

    Der juristische Begriff der Religion ist nicht so fest, dass man da immer konkrete Antworten geben kann. Solange die Richter einen Grund haben, an der Ernsthaftigkeit eines Bekenntnisses zu zweifeln, werden sie es tun. Und momentan würden sie einfach sagen, dass der Hauptzweck von FSM nicht die Erklärung des Lebenssinns ist, sondern eine Parodie. Bei der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (“Mormonen”) bin ich mir sicher, dass sie als Religion anzuerkennen ist (wobei ich persönlich immer an diese South Park – Folge denken muss). In Berlin und Hessen sind sie sogar als Körperschaft des öffentlichen Rechts eingetragen, in den anderen Bundesländern als Verein. Da mangelt es wohl an Formalien.

    Aber es darf halt nicht darauf ankommen, wie unsinnig jemand anders das erscheinen mag. Der Schutz gilt denjenigen, die das ernsthaft glauben. Und diese Ernsthaftigkeit müssen sie im Zweifelsfall begründen können.

    Wenn sie das können und ihr Glaube unter Religionsfreiheit fällt, muss man halt gucken, wie schwer der Eingriff ist, wenn man Beschneidungen untersagen würde, ob nur der äußere Kreis oder der innere Kern betroffen ist usw. Aber das steht eigentlich bereits erklärt in meinen anderen Kommentaren.

      • Emanon on 8. October 2012 at 01:02

      Der obere Text sollte @PeterM sein
      http://www.bildungsbasar.de/2012/10/gesucht-argumente-gegen-ein-beschneidungsverbot/#comment-69

    • sol1 on 10. October 2012 at 21:45
    • Reply

    Ob Volker Beck nach der Lektüre dieses zweiteiligen Aufsatzes von Prof. Andreas Gotzmann einsehen wird, daß er sich vergaloppiert hat?

    http://verfassungsblog.de/das-klner-beschneidungsurteil-und-das-judentum-teil-1-unbeschnittene-juden/

    http://verfassungsblog.de/das-klner-beschneidungsurteil-und-das-judentum-teil-2-jdische-beschneidungspraxis/

  3. Nach einiger Suche habe ich doch noch ein Argument von Volker Beck gefunden, das ich tatsächlich weg­gelassen habe – nicht zuletzt, weil es juristisch noch unbedarfter ist als die anderen:

    Die medizinisch-fachgerecht durchgeführte Beschneidung von Jungen ist bei Muslimen und Juden m.E. grundsätzlich zulässig, wenn die Eltern rechtswirksam für das Kind ein­gewilligt haben. Wägt man die in Rede stehenden Grundrechtspositionen aus Artikel 2, 4 und 6 GG ab, kommt man zu diesem Ergebnis. Dies hat die Rechtssprechung in Deutsch­land bis zum Mai diesen Jahres auch einheitlich so gesehen. In einer Ent­scheidung hat das OVG Lüneburg bei­spielsweise entschieden, dass ein Anspruch gegen die Träger der Sozialhilfe auf Übernahme der Kosten der Zirkumzision und einer ent­sprechenden Fami­lienfeier besteht. Für die Bege­hung einer Straftat gibt es keine Sozial­hilfeleistung!

    Nun ist dummerweise die Behauptung einer einheitlichen Rechtsprechung in dieser Frage frei erfunden. Hierzu schreibt der Passauer Strafrechtler Holm Putzke („Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben“, in: Strafrecht zwischen System und Telos, Mohr Siebeck: 2008):

    Blickt man auf die Rechtsprechung, dann lässt sich keine klare Linie erkennen. Weder ein Zivil- noch ein Strafgericht hat sich bislang mit der Frage beschäftigt, ob die lege artis durchgeführte religiöse Beschneidung eine nicht gerechtfertigte unerlaubte (§ 823 BGB) oder strafbare (§§ 223, 224 StGB) Handlung ist.

    Und das OVG Lüneburg hat in seinem Urteil, das Beck offenbar für das beste Beispiel seiner Art hält, die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer von den Eltern verantworteten Beschneidung in der Tat überhaupt nicht erörtert. Hierzu Holm Putzke (ibid.):

    [W]eder thematisiert das [OVG Lüneburg] das Wohl des Kindes noch die Verletzung seiner körperlichen Integrität. Das Problem beginnt also genau da, wo der Senat aufhört, es zu behandeln.

    Mit Blick auf dieses Urteil und das darauf gestützte Becksche Argument faßt Putzke zusammen (pers. Kom­munikation): „Dass Volker Beck darauf verweist, zeigt nur, dass er sich mit der Sache nicht richtig beschäftigt hat.“

    Vielleicht hätte sich Volker Beck lieber darüber beschweren sollen, daß ich nicht genug seiner Argumente weggelassen habe…

    • Emanon on 17. October 2012 at 20:36
    • Reply

    Sehr geehrter Herr Monnerjahn,

    ich habe mich an SIe gewandt, um Ihnen ein paar Stichhaltige Argumente an die hand zu geben, mit denen Sie in der Diskussion mit Herrn Beck auch die objektive Oberhand gewinnen können.

    Das wollte ich deshalb, weil Sie bis dato in der Diskussion mit Volker Beck an einander vorbeireden. Das liegt allerdings nicht an Herrn Beck, sondern an Ihnen. Ihre Antworten sind logisch nicht adäquat, das heißt sie passen nach Kriterien der Logik oder verschiedener Kommunikationsmodelle nicht zu der Aussage, auf die Sie sich beziehen wollen.

    Alles in allem machen Ihre Antworten einen überhasteten Eindruck, der häufig bei Menschen entsteht, die sich in Ihrer Meinungsbildung bereits fertig fühlen und ihre Meinung als abgeschlossen betrachten.

    Allerdings können SIe davon ausgehen, dass Ihre Argumentation in juristischen Belangen zwar von einer anständigen Motivation geprägt ist, aber unglaublich angreifbar und lückenhaft.

    Diese Lücken wollte ich füllen und alle meine vorangegangenen Aussagen tun das bereits. Ihre Anfügungen sind unnötig, da die Antworten bereits in meinen Zeilen stehen. Ich bitte Sie einfach um Ihre Argumentation willen, sich das nochmal Satz für Satz durchzulesen.

    Ich hab schlicht nicht die Zeit, immer wieder zu erklären. Glauben Sie mir, dass alles bereits abschließend erklärt ist und Sie keinen Laieneinwände mehr vorzutragen brauchen.

    Nehmen Sie einfach diese Argumentation, dann müssen Sie Ihre Zeit auch nicht mit sinnlosen, weil qua modus ergebnislosen Diskussion mit Volker Beck verschwenden.

    Mit freundlichen Grüßen

    • Aventin on 31. December 2012 at 08:57
    • Reply

    @ Emanon
    “dann müssen Sie Ihre Zeit auch nicht mit sinnlosen, weil qua modus ergebnislosen Diskussion mit Volker Beck verschwenden.”

    Seien Sie nicht so überheblich, indem Sie „Ich hab schlicht nicht die Zeit“ haben, die Sie offentsichtlich doch haben? Denn Ihnen ist doch sicher klar, dass der Herr Beck sich nicht überzeugen lassen wird? Auch nicht mit Ihren Argumenten.

    Aber eine ernsthafte Frage! Ist unser “Recht” so kopliziert, das es nur Experten verstehen können? Und auch nur auslegen dürfen? (So wie Sie?)

    Mit anderen Worten, kleine wehrlose Kinder ohne Grund zu verletzen, könnte nach unserm „Recht“ erlaubt sein?

    Verstehe ich Sie damit richtig?

    • Iris on 23. January 2013 at 00:46
    • Reply

    Abraham Geiger (* 24. Mai 1810 in Frankfurt am Main; † 23. Oktober 1874 in Berlin) deutscher Rabbiner nannte Beschneidung einen “barbarisch blutigen Akt” .

    • Ulf Dunkel on 19. March 2015 at 10:07
    • Reply

    Männliche Vorhautverstümmelung wird sprachlich in unserem Kulturraum immer bagatellisiert und mit dem Begriff “Beschneidung” euphemisch verklausuliert, während absolut jede Form von genitaler Veränderung bei Mädchen und Frauen pauschal als Genitalverstümmelung bezeichnet wird. Im Englischen geht man da oft schon fairer miteinander um und nennt beides Verstümmelung, FGM (für “Female Genital Mutilation”) und MGM (für “Male Genital Mutilation”).

    Volker Beck legt Recht so aus, wie es ihm gerade passt. Wenn es um das von Religionen bedrohte Recht für Homosexuelle geht, teilt er kräftig aus – zu Recht. Die Menschenrechte von Babys und männlichen Kindern sind ihm anscheinend egal.

    Hier eine Fotostrecke (nichts für schwache Nerven) von Ergebnissen traditioneller Beschneidungen in Zaire. Nur, damit niemand behaupten kann, es gäbe weltweit keine unterschiedlichen Formen und Folgen der MGM:

    http://www.ulwaluko.co.za/Photos.html

  1. […] Religion rechtfertigt keine Übergriffe in die Rechte anderer. […]

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